Die Aquarelle
Auf seinem Weg zur freien Form war für Jobst von Harsdorf die Aquarelltechnik unverzichtbar. Das Lichtgesättigte der Wasserfarbe, das weich Verfließende der Form, aber auch die scharfen Kanten, die leichte Nähe und schwere Tiefe des Aquarells waren für ihn von vitaler bildnerischer Bedeutung. Dabei gelang es ihm immer, den Rhythmus von Dichte und Weite, Verschlossenheit und Öffnung, Positiv- und Negativform, von großer Linie und scheinbar nebensächlichem Detail produktiv zu erfassen.
Die Melodie und die Räumlichkeit der Staffelungen – ob im häuslichen Garten, auf Spiekeroog oder unter kretischen Oliven – nicht das Abbild, sondern die Suche nach der Übersetzung des Gegenstandes ins Zeichenhafte bestimmte stets das Geschehen. Das Aquarellieren wurde zum Schlüssel für das Entwerfen visueller Texte und Kontexte.
So machte er gleichsam grafische Ausflüge aus der vertrauten optischen Realität zu immer freieren Beschreibungen von Fläche und Raum. Beispielhaft dafür: die Aquarell-Notizen in seinen Venedig-Tagebüchern. Den Wandlungsprozessen von Licht und Raum folgte Harsdorf bei seinen Arbeitsaufenthalten dort mit besonderer Intensität, dem Spiel von Bild und Spiegelbild, den Palazzi, die real in den Himmel ragen und deren Spiegelbild virtuell in der Lagune, im Canal Grande verschwimmt. Gern schweifte sein Blick zum Horizont. Aus den Mosaikböden von S. Maria Salute oder San Marco wurden – Blatt für Blatt befreiender – eigensinnige Strukturen ablesbar: Das Bröckeln des Basalts, die Risse und Verletzungen bezeichnen die historisch gewachsene Bühne Venedig.
Ein wehmütiges wie trotziges „Auch hier ist Arkadien“ klingt dort an, wo Harsdorf Sichtbares entzifferte und zu Neuem verschlüsselte. Seine grafischen Chiffren weckten Erinnerungen, schließen Geträumtes, Unbewusstes auf. Déjà-Vu und Befremden, Wiedererkennen und Überraschung halten sich die Waage. Die wässrig verschwimmenden Aquarellflächen lassen die Grenzen zwischen dem äußeren Reisebild und den inneren Gärten unserer Imagination verschmelzen.
Rainer B. Schossig
Der Garten
Der Garten
hat viele Gesichter
tags – nachts
Bei Sonne
Bei Regen
in der Hitze
in der Kälte
Er ist
bestelltes Feld
blüht auf
verschwendet sich
verblüht
Er bemüht uns
er belohnt uns
mit Festen
Der Garten
ist überall
In einer Blüte
in einem Strauß
im Park
in den Oliven
In der Provence
An der Wümme
ganz nah
Arkadien
ist überall
Jobst von Harsdorf
Euphorie und Verdrängung
Euphorie
und Verdrängung –
dazwischen liegt
Venedig heute:
Lockend, verheißend,
bedroht.
Immer noch glänzt
die Serenissima
an den Kanälen.
Sie ist zu begehen über
Brücken und anzuschauen
in Palästen oder
in dunklen Nischen
verborgener Durchgänge.
Immer wieder aber ist
sie auch gebrochen
durch Narben und Risse,
die sich als Geflecht
in Mauern, Säulen,
Böden ansiedeln –
malerische Zeichen
an den Oberflächen.
Dahinter erst beginnen sie –
die Unbillen und
Bedrohungen, mit denen
Venezianer leben,
von denen Touristen
verschont sind …
Jobst von Harsdorf
Zu den Musikaquarellen
Die mehrteiligen Aquarellzyklen entstanden nach Musik.
Musik als Anstoß. Hören als Anstoß für Sehen.
Das ist das Anliegen: Die Flüchtigkeit der Klänge
zu fixieren, umzusetzen in die Musikalität von Bildern.
Töne, die in unserem Inneren Schwingungen auslösen,
die den Raum durchdringen, verklingen – bis zur Stille.
Konsonanzen, Dissonanzen als Auslöser für ein Zwiegespräch.
Das Bild wäre ohne diesen Anstoß nicht entstanden.
Aber es soll eigene Kräfte entwickeln. Es spricht mit
seinem Betrachter in Formen und Farben, durch
Flächen und Linien, Hell und Dunkel, Spannungen
und Entspannungen. Beide – Klang und Bild
lösen mit ihren eigenen Sprachen Schwingungen aus,
die uns erreichen – oder auch nicht…
MELOS – LOGOS – EIDOS
Der Gedanke verbindet den Klang und das Bild.
Jobst von Harsdorf