Zur Arbeit eines Lithografen
Landschaften und Figuren, Architekturen und Situationen erfaßte Jobst von Harsdorf jeweils als malerischen Zusammenhang und setzte ihn als grafische Struktur ins Bild. Vor allem seine Lithografien machen das deutlich. Diese Blätter sind stets Erinnerung und Antwort zugleich: Erinnerung an Beobachtetes und Erlebtes – denn schon aus technischen Gründen entstanden diese Blätter nicht vor dem Motiv –, Antwort als zeichnerisches Tun, in dem sich das handwerklich-technische Verfahren, Gedanken und Vorstellungen des Künstlers verbinden, sich aneinander reiben und gegenseitig herausfordern. Bei Harsdorf wurden niemals Sachverhalte abgezeichnet, sondern Erlebnisse während der Arbeit auf dem Stein beschworen: Der Lithograf macht sich sein Bild, in dem er sich zeichnend erinnert.
Gezeigt wird, was er unterwegs gesehen hat, und auf Reisen sammelte er solche Fundsachen, die er zum Teil in Skizzen festhielt, vor allem aber als Eindrücke speicherte; Fundsachen als Stationen am Wege, die er im Nachhinein im Atelier auf den lithografischen Stein brachte, damit sie Bilder wurden.
Dieses Prinzip gehörte zur „Weltanschauung“ des Zeichners. Er mogelte dem Betrachter nichts vor, in dem er ihm suggerierte, auch er sei, vom Künstler an die Hand genommen, mit dem jeweiligen Bild vor einem Olivenbaum in Griechenland oder auf dem Marktplatz in Siena. Einsicht gab es für ihn nur beim Abstandnehmen in der grafischen Objektivierung. Alles, was auf dem Blatt zu sehen ist, wurde als grafische Struktur formuliert, selbst Annäherungen an realistische Effekte traten in strenger Rückkoppelung an die Gesetze der Linie und des Flecks auf: Die Linie fand ihren Weg auf dem weißen Blatt und dabei nicht nur ihre Position in der Fläche, sondern sie schaffte sich zugleich ihren Raum, weitete das Bildfeld des Blattes in die Tiefe, zoges nach vorn. Schraffuren und Flächen modellierten Körper und Höhlungen, eins bedingte das andere, und so entstand ein Gebilde, das seinen eigenen Gesetzen gehorchte, dessen Disposition zeichnend bestimmt wurde.
Das ist zunächst die abstrakte Gestalt dieser Blätter, die Harsdorf mit sensibler Präzision anlegte und ausformte, die den Betrachter auch als selbständiger Wert beschäftigt. Wie intensiv und vielfältig diese Strukturen angelegt sind, wird einem besonders deutlich, wenn man bei diesen Blättern einmal Partien so abdeckt, daß der Motivzusammenhang nicht mehr gegeben ist: Besonders dann kann man die Sprache der grafischen Elemente einsehen, die mit dem Pinsel nuancierten Lavierungen, die Züge oder Kreuzungen der Linien und deren Umgang miteinander wahrnehmen.
So konkret Harsdorf diesen künstlerisch-handwerklichen Umgang mit der grafischen Äußerung an sich verstand, so wenig begnügte er sich allein mit der Herstellung solcher grafischen Strukturen. Gerade in der Verbindung mit dem jeweiligen erinnerten Motiv findet die Form der Blätter ihre Entfaltung. Aus dem abstrakten grafischen Tun entsteht der konkrete Hinweis auf die wiedererkennbare Situation, und diese beiden Bereiche der Wahrnehmung kennzeichnen das Erlebnis dieser Blätter, ohne daß der Schwerpunkt auf den einen oder anderen festgelegt wäre. Gerade im Hin und Hersehen – wobei sich zum Beispiel Linienbündel zu einem Gebäude verdichten oder, umgekehrt, ein Bergmotiv zum freien Liniengefüge öffnet – erschließt sich für den Betrachter die lithografische Zeichnung, ihre Phantasie und bildnerische Intelligenz, ihre Erfindungskraft und – nicht zuletzt als Basis all dessen – handwerkliches Können.
Jürgen Schultze
Samos
Samos
Classics–Musics
Schattenlos –
also keine Touristen.
Glut sengt die Böden
zwischen den Abgesängen
der Antike.
Die Männer
verbreiten Trägheit.
Die Alten – erloschen.
Über allem
die Musicboxen.
Ihre Rhythmen
springen, rieseln
ohne Rast –
verlieren sich
über dem Hafen –
dem Castell des
Logothetis…
Jobst von Harsdorf
An einem Septembermorgen
Im Gras sitzen,
fast zugedeckt vom Wehen
vertrockneter Blüten
auf den langen Halmen.
Zeichnen
über dem Chateau.
Das Chateau,
längst verlassen,
hat sich inzwischen
mit der Natur arrangiert.
Mauern, Türme und
die Rundbögen,
die den Durchgang
vom Land in das Land
überwölben,
sie verbinden sich
mit Kiefern und Zypressen
in Lichtern und Schatten
zu neuen Figuren.
Schmetterlinge zwischen
Mandelbäumen. Lautlos.
Darüber schwebt – ganz nah –
der sanfte
Mont Ventoux.
Le Beaucet / Provence
an einem Septembermorgen
Jobst von Harsdorf
EUROMOS
Zeus in den Oliven ?
Das kann man tun
in den Oliven:
Einen Tag verbringen
hörend, sehend, treibend,
zeichnend unter den Relikten
der griechischen
Steinmetzen, die zusammen
mit den Oliven
Himmel und Erde verbinden.
Säulen, dorisch, erkennbar
in ihren Kapitälen.
Schwarz im Muschelkalk,
weiß in den Flechten.
Dazwischen Steine, marmorn,
mit endlosen Chiffren
Rätselhaft.
Licht und Schatten wandernd,
schweigend wechselnd,
seit mehr als 2000 Jahren.
Die verstreuten Reste eines
Zeus-Gewitters?
Die Werkstatt
des Unvollendeten,
panisch verlassen?
Darüber Schweigen…
Jobst von Harsdorf
Oliven
Jobst von Harsdorf
Venedig
Venedig
vom Stein gedruckt:
Der Stein
läßt Lichter strahlen
und er macht
die Schatten transparent.
Er sichert Spuren
durch den Druck
von Linien, Flächen
und Lavuren.
Im Druck spiegelt er
noch einmal
das Spiegelbild
der Wasserstadt.
Jobst von Harsdorf